Otto Hanus


Das gegenstandsfreie ideodynamische Zeichnen


Es ist naheliegend, dass der gegenstandsfreie Ausdruck des intrazerebralen Ich damit zusammenhängt, in welchem Zu-standsraum sich dieses subzerebrale System befindet. Diesen Zustandsraum definiere ich als die aktuelle Interdependenz der drei Prinzipien, die in den drei instantanen Dimensionen wirken (Bild 1).

Bild 1


Das intrazerebrale Ich kann diesen Zustandsraum verlassen und das bedeutet, je weniger sich das Ich abgrenzt, desto unmittelbarer können Aspekte des zerebralen Es zum Ausdruck kommen. Deshalb ist es Sinn und Zweck des intrazerebralen Ich eine Art psychomentales Regelungssystem sein zu können, welches die Einflüsse des zerebralen Es auf Handlungen in der physischen Dimension regelt und gestaltend modelliert. Dieser regulierende und gestaltende Einfluss des intrazerebralen Ich kann sich spontan, durch Konditionierung, Suggestion oder mittels geeigneter mentaler Übungen ereignen. Ich beziehe mich hier vorrangig auf gegenstandsfreie Ausdruckslinien, weil deren ideodynamische Phänomenologie die Voraussetzung meiner Kunst der vierten Dimension in meinen Rollbildern ist.


Die Phänomenologie der Ideomotorik oder Ideodynamik geht auf Beobachtungen des englischen Arztes und Physiologen William Benjamin Carpenter zurück. Er erkannte und beschrieb erstmals 1852 den Einfluss einer unbewussten mentalen Einstellung auf die Mikrobewegungen der Hand, wie sie sich zum Beispiel auch beim handschriftlichen Schreiben äußern. Bewegungen gelten als ideomotorisch oder ideodynamisch, wenn es sich um feinmotorische Bewegungen handelt, die sich ohne einen kontrollierenden und reglementierenden Einfluss des intrazerebralen Ich ereignen. Erfahrungen haben gezeigt, dass es vor allem unbewusste Gedanken und Vorstellungen, Motivationen und psychovegetative Zustände sind, die sich ideodynamisch auswirken, wobei sich Effekte des zerebralen Es äußern, die dem intrazerebral handelnden Ich nicht bewusst sind. Einem ideodynamischen Bewegungsausdruck liegt demzufolge eine Innovation auf das feinmotorische Bewegungs-system der Führungshand zugrunde. Beim gegenständlichen Zeichnen fehlt ein solcher ideomotorischer Einfluss, weil die Ausdruckshandlung aufgrund einer egozentrierten Darstellungsabsicht eines tendenziell zentralperspektivisch gedachten Objekts in ihren Freiheitsgraden eingeschränkt ist. Im Unterschied zum gegenständlichen Zeichnen, bei dem die Formungs-linien von einer Objektbeziehung des Ich kontrolliert werden, fehlt beim abbildungsfreien Zeichnen eine solche Orientierung am Objekt. Dieses Fehlen ist aber von Vorteil, wenn man unterstellt, dass sich dadurch gegenstandsfreie Effekte der psychi-schen und geistigen Dimension und deren Wirkungen äußern können.


Die Phänomenologie der Ideodynamik, also die unmittelbare Äußerung intrazerebraler Effekte des zerebralen Es ermöglicht ein Verständnis seltsamer Phänomene; zum Beispiel die Radiästhesie und das Pendeln, das automatische bzw. mediale Schreiben und Zeichnen und ähnliche sogenannte para-normale Erscheinungsformen, die im Licht des ideodynamischen Carpenter-Effekts Reaktionen des zerebralen Es auf unbewusste Wirkungszusammenhänge sein können. Diese keineswegs unbekannten Phänomene lassen sich auch auf diverse mediumistische, psychedelische, psychiatrische und paranormale Ausdruckshandlungen und Erfahrungen beziehen. In diesen Fällen sind dann die ideodynamischen Ausdruckshandlungen oder Erfahrungen mit einem hypnogen veränderten Zustandsraum des intrazerebralen Ich und seiner Wahrnehmung verbunden. Das wäre als eine zerebrale Disposition zu verstehen, in der das intrazerebrale Ich seine Kontrollfunktion aufgegeben und an das zerebrale Es abgegeben hat. Das ist kein Entweder-Oder-, sondern ein fuzzylogic-Zustand. Berücksichtigt man da-bei, dass der Ichzustand ein intrazerebrales Phänomen der physischen, psychischen und geistigen Dimension ist, folgt daraus, dass die Ausdrucksmöglichkeiten und Freiheitsgrade weit über die physische Dimension des Gehirns hinaus in eine Metadimension des zerebralen Es hineinreichen (Bild  2).




Bild 2


Drei sehr unterschiedliche Beispiele mediumistischen Schreibens im hypnoiden Zustand sollen ansatzweise einen Eindruck von den Erscheinungsformen ideodynamischer Ausdruckslinien veranschaulichen (Bilder 3 bis 5).

Bild 3


Bild 4


Bild 5


Zweifelsfrei ist in diesen Schriftbildern etwas zum Ausdruck gebracht worden. Aber was? Diese Frage kann man sich auch bei diesen drei medialen Zeichnungen stellen (Bilder 6 bis 8).

Bild 6


Bild 7


Bild 8


Ich bin mir dessen sicher, dass es ohne die drei Prinzipien Bewegung, Formierung, Bindung und den drei Dimensionen des zerebralen Es keine dieser medialen Zeichnungen geben würde. Weiter ge-dacht muss man sich aber auch eingestehen, dass die neuronale Tätigkeit der physischen Dimension, also des Gehirns, die Voraussetzung, aber keinesfalls die Ursache für solche ideodynamischen Zeichnungen gewesen ist, die in einem hypnoiden Zustandsraum entstanden sind. Weil mir dieser Zusam-menhang für das Verständnis meiner gegenstandsfreien Rollbilder wesentlich zu sein scheint, möchte ich diesen phäno-menologischen Unterschied zwischen Voraussetzung und Ursache noch mit einem sehr anschaulichen Beispiel verdeutlichen. Das Schichten von Steinen war die Voraussetzung, aber sicherlich nicht die Ursache für diesen Steinkreis (Bild 9). Ebenso sind die mit grammatischen Regeln strukturierten Worte und Sätze keinesfalls die Ursache, wohl aber die Voraussetzung für den Sinn vermittelnden Text dieses Haiku (Bild 10). Das trifft auch auf die Collage zu, deren drei formale Elemente eine Voraus-setzung, jedoch nicht die Ursache ihrer kohärenten Einheit sind (Bild 11).

Bild 9


Bild 10


Bild 11


Aufgrund meiner Erfahrungen mit ideodynamischen Ausdruckshandlungen gehe ich über Carpenter hinaus und unterstelle dem intrazerebralen Ich auch ein ideosensorisches Wahrnehmen und Empfinden beim gegenstandsfreien Zeichnen. Daraus ergibt sich eine dynamische Rückkoppelung, indem die unbewusste Ideosensorik, die ebenso unbewusste Ideodynamik in jedem Moment der Ausdruckshandlung modellierend beeinflusst.

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