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© Otto Hanus


Die Struktur des Kosmos im Bild des Menschen


Eine außerwissenschaftliche Betrachtung der Dreiprinzipinlehre und der

metaphysischen Kosmologie des Tibetischen Lamaismus



Ich bin 1959 erstmals über den Journalisten, Schriftsteller, Tibetologen und Sinologen Illion Burang, in Salz-burg, mit der Tibetisch Lamaistischen Medizinphilosophie und kosmologischen Dreiprinzipienlehre in Kon-takt gekommen. Über ihn ist biografisch wenig bekannt und das Wenige, worüber man lesen kann, sagt wenig bis nichts über ihn aus, wenn man ihn kennengelernt hat und weiß, wie er war. Sein scharfer und bisweilen ät-zender Sarkasmus in Vorträgen, mit denen er damals das kommunistische China und dessen kulturverach-tende Politik gebrandmarkt hatte, war nicht dazu angetan, sich Freunde zu machen. Im Gegenteil. Unsere Treffen und Gespräche wurden von ihm gelegentlich mit dem Hinweis zur Vorsicht unterbrochen, dass ein möglicher Agent des chinesischen Auslandsgeheimdienstes am Nebentisch nicht hören sollte, worüber wir sprachen. Das war durchaus nicht abwegig, denn es gab damals nur wenige, die aufgrund tibetischer und chi-nesischer Sprachkenntnisse über die politischen Vorgänge in Tibet und China hätten kritisch berichten kön-nen. Zu weiterführenden privaten Studien der Dreiprinzipienlehre bin ich später durch eine Begegnung mit dem Tibetologen P. Corvin von Cyrill Krasinski bestärkt worden, den ich im Verlauf meiner Tätigkeit bei Karl-fried Graf von Dürckheim, in Todtmoos-Rütte, kennengelernt hatte. Ebenso motivierend waren für mich die Kontakte zu Lama Anagorika Govinda und zum Neurologen, Psychiater und Psychoanalytiker Udo Derbo-lowsky. Die Aneignung eines strukturierenden und abstrahierenden Denkens, als Voraussetzung für ein me-taphysisches und metapsychisches Verstehen der Dreiprinzipienlehre, wurde in der Arbeit mit dem Psy-choanalytiker David Dunlap, in Monte-Carlo, während vieler Jahre zu einer nicht endenden Herausforde-rung. Das sich zunehmend komplexifizierende Bild des Kosmos im Bild des Menschen, hätte ohne parallel verlaufende Erfahrungen hypnogener Ausdrucksprozesse, im gegenstandsfreien Zeichnen und Malen, zu ei-ner zusammenhanglosen Sandburg ohne Fundament geführt. Es hat mich von Anfang an und immer wieder die raumzeitlose Beziehung des Physischen, Psychischen und Geistigen in der makroskopischen und mikros-kopischen Dimension erkennen lassen und mir darüber hinaus ein intuitives Verstehen der Dreiprinzipien-lehre erleichtert.


Dieser Essay hat keinen praktischen Wert. Ginge es nur darum, würde der Mensch immer noch Beeren und Pilze sammeln und sein Leben mit Jagen und Schlachten verbringen. Aber so ist es nicht. Prähistorische Artefakte in Höhlenmalereien zeigen, dass die Menschen zwischen einem Erleben in der Außenwelt und dem, einer Innenwelt, unterscheiden konnten. Das lässt auf einen Lebensentwurf schließen, in dem ein sich selbst konfigurierendes, anscheinend nicht nur materielles Universum, zu einem gestalteten Kosmos und schließlich zum Menschen geführt hat. Sollte es so gewesen sein, könnte man folgern, dass im Konzept des Menschen ein analoges Konzept des Universums erkannt werden kann. Dies ist jedenfalls der Ansatz der Tibetisch Lamaistischen Dreiprinzipienlehre. Sie ist eine von Erfahrungen abstrahierte Einsicht, in der Physi-sches, Psychisches und Geistiges, im universalen Bild einer kohärenten Einheit koexistieren. Aufgrund dieser kohärenten Existenz ist das Phänomen Mensch, ein Phänomen des Universums, derart, und das ist daran we-sentlich, dass sich der Mensch nicht aus einem zufälligen und konzeptlosen Zustand von null zu etwas ent-wickelt hat, sondern von einem raumzeitlich anfangslosen, triadischen Universum, gestaltet wurde. Der hin-tergründige Sinn dieser Gestaltung des Universums zum Lebewesen, schließt die Sinnfrage der biologischen Erscheinungsformen mit ein, weil sie den Blick auf alle Formen des Erwürgens, Vergiftens und Zerfleischens, der Versklavung und Ausbeutung, von Vergewaltigung, Betrug und Täuschung richtet, die im Menschen einen pervertierten Höhepunkt des Ausdrucks fanden und immerzu finden, obwohl er anders könnte, wenn er wollte.


Etwa in der Mitte des achten Jahrhunderts entstand in Tibet aus der Verschmelzung von verschiedenen bud-dhistischen Strömungen und dem ursprünglichen tibetischen Bön-Schamanentum der Lamaismus. Als Grün-der gilt der aus dem indischen Raum zugewanderte Mönch Padmasambhava . Der Begriff Lamaismus leitet sich vom Wort Lama ab und bedeutet religiöser Lehrer und höher ordinierter Mönch. Die Ursprünge der me-taphysischen Kosmologie und ihre Dreiprinzipienlehre hängen mit der Medizinphilosophie des tibetischen Lamaismus zusammen. Dessen Wurzeln reichen ca. viertausend Jahre zurück nach Indien. Es hat vier weit-läufige Entwicklungsphasen gegeben: Eine erste Phase der Vermittlung des Wissens durch Götter, eine zwei-te Phase, die als die Zeit der Weisen bekannt ist, eine dritte, die mit dem Beginn des Brahmanentums zusam-menhängt und eine vierte, die sich auf erste buddhistische Gelehrte zurückführen lässt (Bild 1). 






















Dieser chronologische Hintergrund könnte den Eindruck erwecken, als würde sich die Dreiprinzipienlehre im Verlauf von viertausend Jahren entwickelt haben. Warum ich das ausschließe, möchte ich mit einer Meta-pher begründen. Lange bevor man die Bewegungsgesetze erkannt und das Erkannte theoretisch formuliert hatte, hat es, unabhängig von Sprache und Kultur, die Erfahrungen von Bewegung gegeben. Unabhängig davon, woran man glaubt, werden sich die Prinzipien der Bewegung demjenigen offenbaren, der sie genau und vorurteilslos betrachtet. Die Betrachtung, das genaue Hinsehen, ist das eine; die Interpretation des Ge-sehenen, ist das andere. Die Art und Weise, wie das Gesehene und Erkannte interpretiert wurde, war von Glaubenssystemen und kulturellen Gegebenheiten beeinflusst. Evolution der Erkenntnis ist darin zu sehen, dass man sich mehr und mehr von einer divergenten Interpretation des Beobachteten zu einer konvergenten entwickelt hat. Das ist das Wesen der Phänomenologie.


Ungefähr 685 nach Christus gelangten von Indien ausgehend, metaphysische kosmologische Ideen und Er-fahrungen nach Tibet. Hier hatte sich dann eine Synthese des gesamten zu dieser Zeit vorhandenen Wissens herausgebildet, das nicht nur aus Indien, sondern auch aus China, Nepal, Kaschmir und Persien stammte. Alle damals wichtigen philosophischen Schriften waren ins Tibetische übersetzt worden, wobei sich zunehmend eine spezifisch tibetische Philosophie und Kosmologie entwickelt hat. Um ca. 1235 kam dieses tibetische Ge-dankengut in die Mongolei, und einige Jahrhunderte später erreichte es auch Europa, wo es im Kontext einer damit korrespondierenden Heilkunde, in St. Petersburg von dem Lama-Arzt Sul-Tim-Badma praktiziert wurde.


Im Vergleich mit der westlichen Kosmologie beschränkte sich die Lamaistische nicht ausschließlich auf ein wissenschaftliches Interpretieren des Beobachteten materieller Ursachen. Sie war auf eine Synthese physi-scher, psychischer und geistiger Phänomene ausgerichtet. Deshalb ist die Kosmologie des Lamaismus als eine metaphysische Erfahrung anzusehen, die weniger auf materielles Wissen, sondern auf Sinn vermittelnde Zu-sammenhänge Bezug nimmt. Universum, Welt und Mensch werden nicht von psychischen und geistigen At-tributen losgelöst betrachtet, sondern als eine physische, psychische und geistige Einheit verstanden (Bild 2).

















Demzufolge ist das Konzept und Verständnis des Menschen mit einer metaphysischen Kosmologie verbun-den, die ihn - metaphorisch gesagt - von oben nach unten und nicht von unten nach oben her begreift. Die Entdeckung des Wirkungsquants des Physikers Max Planck etwa ist eine Relation, ein Maß- und Wirkungs-verhältnis, das sich nicht kontinuierlich von null zu etwas entwickelt hat, weder überschritten noch minimiert werden kann, keiner Kontinuität unterliegt, sondern instantan (außerhalb chonologischer Prozesse, unver-züglich einsetzend, sich sofort auswirkend und augenblicklich) gegeben ist und die Welt der physischen Er-scheinungen ermöglicht. Würde es dieses Beziehungsverhältnis nicht geben, wäre nichts.


Für einen tibetischen Gelehrten sind Universum, Welt und Mensch eine komplexe und komplizierte Wech-selwirkung physisch-stofflicher, psychischer und geistiger Attribute. Diese Attribute werden als Ausdruck einer vorgegebenen universalen Ordnung verstanden, die auf drei fundamentale Prinzipien zurückgeführt wird und CHI-SCHARA-BADGAN bezeichnet werden und die Grundlage der Lamaistischen Dreiprinzipien-lehre bilden. Ich gehe nun so weit zu behaupten, dass im Planck’schen Wirkungsquant, die CHI, SCHARA, BADGAN Prinzipien zu erkennen sind, was dann verständlich wird, sobald ich diese drei universalen Prinzipi-en definiert habe (Bild 3).













Die naturwissenschaftliche Kosmologie ist das Ergebnis einer ganz anderen Denkdoktrin. Sie beruht auf den Resultaten von Beobachtungen, bei denen man davon ausgeht, dass man die Phänomene des Universums und letztlich auch von Welt und Mensch auf der Ebene materieller Strukturen und deren determinierten Ur-sachen und Wirkungen, zu verstehen hat. Die technischen Erfolge dieses Denkens sind eindeutig. Ebenso eindeutig und nicht zu übersehen ist aber auch die damit verbundene Einseitigkeit, in der Menschen- und Weltbetrachtung.


Die Lamaistische Kosmologie ist der Ausdruck eines metaphysischen Denkens in Analogien, dessen Grundla-ge die Dreiprinzipienlehre ist. Sie vermittelt eine außerwissenschaftliche (ich vermeide denBegriff geistes-wissenschaftlich, weil das Geistige keine Wissenschaft ist und sein kann) Sicht auf den hintergründigen Sinn des Universums, die über das rationale, logische Denken allein nicht zu verstehen ist. Sie erfordert eine intui-tive, formale Logik, um den Sinn erkennen zu können. Deshalb kann es hilfreich sein, diese metaphysische Kosmologie wie einen Traum zu verstehen, in dem die gewohnte Denklogik durch ein metaphorisch assoziati-ves Denken in Analogien ersetzt wird.


Aufgrund dieser analogen Metaphorik geht man in der Lamaistischen Kosmologie von den CHI, SCHARA, BADGAN Prinzipien aus, von denen angenommen wird, dass dies drei fundamentale, untrennbar zusammen-hängende Universum genannte Prinzipien sind, die primordial und unabhängig vom Menschen gegeben sind. Das bedeutet: Diese drei Prinzipien werden nicht in das Universum, in die Welt und in den Menschen hineingedacht; sie werden auch nicht vom Menschen auf das Universum projiziert, sondern von ihm durch Intuition und Analyse erkannt. In allen Phänomenen des Universums, der Welt und des Menschen lassen sich diese drei Prinzipien erkennen: CHI das Geistige, SCHARA das Leben und BADGAN die Materie. Anders ge-sagt, in jeder gegenständlichen und gegenstandsfreien Erscheinung haben sich diese Prinzipien verwirklicht.


Das ist so zu verstehen, dass nichts ohne diese drei Prinzipien der Fall sein kann. Noch weiter abstrahiert könnte diese, in allem wirkenden universal gedachte Prinzipieneinheit wie ein universales Feld nicht verorteter imaginärer Punkten sein, in dem ein Punkt gleich allen Punkten und alle Punkte einer ist, aus dem alle Erscheinungsformen emanieren. Definiert man das universale Feld als eine, jedem imaginären Punkt des Universums, inhärente Information, würden die CHI-SCHARA-BADGAN Prinzipien als instantane Informa-tion an jedem Punkt des Universums gegeben sein (Bild 4).














Damit erhält man eine erste Aussage: Das Universum ist Geist, Leben und Materie. Im Unterschied zur na-turwissenschaftlichen Sicht, die Geist und Leben aus der Materie als primordiale Ursache hervorgehen lässt, geht die Drei-Prinzipien-Lehre von der Erkenntnis aus, dass diese drei Phänomene koexistent, frei von Ver-ursachung und somit nicht kausal sind. Hier zeigt sich allerdings ein interessanter Unterschied: Im natur-wissenschaftlichen Paradigma ist Materie die einzige Voraussetzung alles Seienden, von der sich Leben, Psychisches und Geistiges ableiten würden. Die Rationalisten sagen, dass jede Form von Leben und jede Form von psychischem und geistigem Produkte auf determinierte materielle Zufallsprozesse zurückgeführt werden können, die sich in einem euklidischen Raum ereignen. Doch dieser Raum ist eine abstrakte geo-metrische Konstruktion und in dieser gedanklich konstruierten, fiktiven Raumschachtel, ereignet sich gar nichts. Sie ist lediglich eine Hilfe, die es ermöglicht Orte zu definieren, um Übereinkunft zu ermöglichen.


Im Licht der metaphysischen Drei-Prinzipien-Lehre sieht man das anders. Geist, Leben und Materie sind eine instantane (unmittelbare, sich ohne chronologische und weder kausale noch determinierte Entwicklung er-eignende) universale Einheit, wobei kein einzelnes Prinzip von den beiden anderen abgeleitet werden kann. Ein Dreieck hat drei Eckpunkte. Kein Eckpunkt war vorher und keiner nachher. Die Einheit der Drei ist das Dreieck, in der Dynamik seiner Beziehungen der Eckpunkte. So gesehen, ist ein Dreieck ein geometrischer Zustand mit unendlich vielen Möglichkeiten, wie es konfiguriert sein kann. Doch obwohl man jede mögliche Konfiguration eines Dreiecks im euklidischen Raum mathematisch beschreiben kann, entzieht sich die visu-elle Anmutung einer aktuellen Dreiecksgestalt dieser Beschreibung. Man kann deshalb sagen, es gibt einen mathematisch geometrischen Zustand und einen qualifizierenden Empfindungszustand.


Definiert man den in der Quantenmechanik anerkannten Hilbertraum als einen, dem euklidischen Raum übergeordneten, mathematischen Beziehungsraum, würde er analog zur übergeordneten Gesamtheit aller Möglichkeiten sein, wie sich die CHI, SCHARA, BADGAN Prinzipien gestalten und Zustandsräume bilden können. Zustandsräume lassen sich jedoch nicht geometrisch definieren, sondern werden über ein interakti-ves Empfinden erfahren. Deshalb gibt es im Zustandsraum keine bestimmbaren Orte. Anstelle der Erfahrung, an einem Ort zu sein, erfährt man sich in einem aus drei Prinzipien gebildeten Befinden.


Diese Zustandseinheit der Dreiheit, der Zustandsraum qualifizierenden Empfindens lässt sich anhand der drei Primärfarben Blau, Rot und Gelb veranschaulichen. Wenn man Blau dem Geistigen zuordnet, das Rot dem Leben und Gelb der Materie (das wäre eine logisch nicht begründbare Analogie), würde die naturwis-senschaftliche Behauptung, Leben und Geistiges könnte auf materielle Zufallsprozesse zurückgeführt werden, analog zu der Aussage, dass Blau und Rot von Gelb abgeleitet werden könnten. Das wäre jedoch phänomenologisch absurd. Ebenso absurd würde die Frage sein, was zuerst vorhanden war: Gelb, Rot oder Blau? Deshalb möchte ich die naturwissenschaftliche Sicht auf die Welt als achromatisch bezeichnen und ihr eine chromatische gegenüberstellen. Ähnlich kann man auch die pragmatisch materielle Sicht auf die Phänomene der Welt mit einer kreativen Betrachtungsweise vergleichen, wobei man sich fragen kann, wovon hat man mehr: wenn man ein Aquarell von Turner physikalisch als Anhäufung materieller Farbpartikel definiert (was zweifelsfrei der Realität entspricht) oder in ihm einen psychischen und geistigen Ausdruck erkennt (Bild 5)?














Es gehört zum Denkmodell dieser metaphysischen Drei-Prinzipien-Lehre, das Universum, die Welt und den Menschen, das Anorganische und das Organische als eine Verwirklichung dieser drei Prinzipien CHI, SCHA-RA und BADGAN zu verstehen, wobei unter Prinzip etwas Unabdingbares, voraussetzungsloses, jenseits räumlicher und zeitlicher Bedingungen akausal Seiendes zu verstehen wäre. Aus dieser Voraussetzung ergibt sich die Folgerung, dass jede Erscheinungsform des Universums, der Welt und des Menschen auf diese drei Prinzipien zurückgeführt werden kann und alle Phänomene der physischen Realität grundsätzlich Manifesta-tionen dieser Prinzipien sind. Das bedeutet, keines dieser Prinzipien verwirklicht sich ohne Beteiligung der beiden anderen (denn dies würde der instantanen Dreiheit widersprechen). Die diesen Prinzipien zugeord-neten Attribute sind: CHI, das strukturierende, formierende, Konzept bildende, den dynamischen Effekten Richtung und Struktur gebendes oder stereotype Prinzip, SCHARA, das bewegende, verwandelnde, dynami-sche, das von sich aus wollende Prinzipdes Agierens oder erstarrende Prinzip, BADGAN, das beharrende, verfestigende, anziehende, das sich nicht von sich aus bewegendeund deshalb bewegt werdende, anhaftende und auflösende Prinzip. Diese Prinzipien verwirklichen sich in drei ebenso fundamentalen Funktionsebenen oder Seinsbereichen wie Geist, Leben und Materie. Man könnte sagen, CHI geistigt sich, SCHARA lebendigt sich und BADGAN materialisiert sich. Man kann auch sagen: Geist, Leben und Materie sind keine gegen-ständlichen Erscheinungen, sondern objektfreie Prozesse, in denen die drei Prinzipien zum Ausdruck kom-men (Bild 6).





















Wenden wir uns jetzt dem Menschen im Licht der Drei-Prinzipien-Lehre zu. Anders als in der Naturwissen-schaft wird ein in der Welt verwirklichter Mensch als ein Ausdruck der CHI-SCHARA-BADGAN Prinzipien verstanden. Weil aber etwas, das physisch verwirklicht ist, im euklidischen Raum existiert, ist die Verortung ein essenzielles Attribut jedes physisch verwirklichten Phänomens. Aufgrund der Verortung ergibt sich ein Hier und ein Dort und in diesem Zusammenhang ein Vorher, jetzt und nachher, wodurch Orientierung und Beziehung möglich sind, die dem CHI-Prinzip entsprechen.


Der euklidisch verortete Körper ermöglicht die Erfahrung, sich als ich an einem Ort erleben zu können. Da-durch ist eine Beziehung zum nicht ich und zu anderem möglich, das sich an einem anderen Ort befindet, wo ich nicht bin. Dieser im geometrisch terrestrischen Milieu verortete physische Körper, vor allem das verorte-te Gehirn und das damit verbundene Icherleben, sind dem Ich nicht bewusst. Das CHI-Prinzip dieser zerebra-len Verortung ermöglicht es dem Ich jedoch, sich zu orientieren, zu organisieren, zu strukturieren und komp-lexe Zusammenhänge zu generieren. Das Gehirn selbst, ist ein im physischen verwirklichtes CHI-Prinzip, des-sen geistige Attribute ein abstrahierendes Denken, die Schriftbildung und eine damit einhergehende Sprache ermöglichen. Dieses, der Sprache zugrunde liegende geistige Prinzip, reicht bis in die materiellen Elementar-tstrukturen des Körpers hinein. Denn die aus Atomen und Elementarteilchen bestehenden Moleküle seiner Gestalt sind ein konfigurierter Zustand, dessen Struktur und kohärente Konfiguration die komplexe Gestalt-bildung eines Gehirns ermöglicht. Diese Gestaltbildung erfolgt der Drei-Prinzipien-Lehre zufolge, anders, als es die Wissenschaft zu denken vorgibt, keineswegs aufgrund zufälliger Quantenfluktuationen, sondern über den geistig konfigurierenden Einfluss des CHI auf den Quantenzustand.


Damit sich etwas organisieren und konfigurieren kann, bedarf es der Bewegung durch Einflüsse von außen und der Bewegungen durch Einflüsse von innen. SCHARA, das Prinzip von Bewegung und Energie, von Aus-dehnung und Komprimierung, von Explosions- und Implusionsenergie, Spaltung und Fusion hängen mit dem Zustand der Verortung zusammen. Beim Menschen äußert sich SCHARA in dem Vermögen, sich von hier nach dort bewegen zu können. Das kann beabsichtigt und gewollt oder unbeabsichtigt und ungewollt sein. Ferner wirkt sich dieses Prinzip aber nicht nur im und in Bezug auf den sich bewegenden physischen Körper aus, denn im Kontext der Drei-Prinzipien-Lehre werden dem SCHARA auch Temperatur, Strahlung und Licht zugeordnet. Überträgt man die beiden CHI und SCHARA-Prinipien auf das von Max Planck entdeckte Wir-kungsquant, in dem das Verhältnis von Frequenz und Energie einer Strahlung eine konstante Wirkungs-einheit bilden, dann zeigt sich, wie das strukturierende und konfigurierende CHI, in Form eines ganzzahligen Wertes und das SCHARA Bewegungsprinzip in Form von Temperatur und Strahlung aufeinander bezogen und verwirklicht sind. Bewegung, äußert sich im Bewegen, im bewegt werden und bewegt sein, kann sich demnach auf den physischen Körper, auf psychische und geistige Effekte beziehen. Dies ist jedoch nicht im Sinn eines Entweder-oder zu verstehen. Das strukturierende, einen Zusammenhang und Gestalt bildende CHI kann nur in Koexistenz mit dem dynamischen SCHARA seine Wirkung entfalten und ebenso ist jede Form von Bewegung ein Ausdruck von CHI. Deshalb kann man sagen, in jeder Formierung, sei sie auf die anorganische, die organische oder geistige Dimension der Welt bezogen, kommen CHI und SCHARA korres-pondierend und nie voneinander getrennt, zum Ausdruck.


Jede kohärente, über CHI und SCHARA zu einer Gestalt führende Prozess, bedarf einer Bindung. Gestalt ist ohne Bindung nicht möglich. Eine Bindung erfordert den Austausch mit verorteten Attributen des Umfeldes, in die sie eingebunden und worauf sie bezogen ist. Als Prinzip der Bindung und Auflösung, von Negentropie und Entropie ermöglicht das BADGAN-Prinzip einen temporären Zusammenhalt. Die gesamte Welt gegen-ständlicher Wahrnehmungen und Erfahrungen existiert aufgrund vorübergehender Bindungen. Durch BAD-GAN sind die Voraussetzungen für eine Kontinuität derjenigen Prozesse gegeben, die zur Aufrechterhaltung von anorganischen und organischen Funktionen eines Phänomens erforderlich sind. Aber auch Zustände von Lockerung und Auflösung, dem Auseinanderfallen von Ordnung und Konfiguration sind ein Aspekt dieses Prinzips. BADGAN strukturiert nicht und es bewegt nicht. Weil es weder strukturiert noch bewegt, ermög-licht es den Zusammenhalt des durch CHI strukturierten und durch SCHARA bewegten.


Betrachten wir die Existenz des Menschen und darüber hinaus auch jedes anderen Lebewesens, im Licht dieser Dreiprinzipienlehre. Ein Lebewesen, das sich in der physischen Dimension der Welt verwirklicht, kommt durch CHI in Form von Struktur und Geometrie als eine verräumlichte Konfiguration bzw. Gestalt zum Ausdruck. Es manifestiert und entwickelt aufgrund von Bewegung und Energie des SCHARA im Kontext von Wärme und Licht, wobei man heute weiß, dass kohärent schwingende Photonen Informationen speichern, wodurch komplexe Konfigurationen und kohärent Gestalt bildende Interaktionen im physischen Milieu der Welt möglich sind. Nicht nur im naturwissenschaftlichen Denken, auch in der Erkenntnis der Lamaistischen Dreiprinzipienlehre besteht ein Lebewesen aus Kolonien von eigenständig agierenden Zellen, deren verschiedene Konfigurationen aufgrund von Beziehungen Organe gestalten. Diese Organe gestalten-den Beziehungen der Zellen im Gefüge des Ganzen einer ihnen übergeordneten Gestalt, kommen zustande, indem innere und äußere Einflüsse auf die Zelle oder den Zellenkomplex einwirken. Die inneren Einflüsse sind Wachstums-, Entfaltungs-, Gestaltungs- und Ordnungsvorgänge, die von der Zelle selbst ausgehen. Die äußeren Einflüsse beziehen sich auf die physischen Bedingungen des Milieus, in dem eine Zelle agiert und auf worauf sie reagiert. Was ich, eine Zelle und Zellkomplexe betreffend beschrieben habe, gilt ebenso für einen Lebenskörper bildende Organkomplexe, deren gemeinsames Merkmal, das vom Ganzen der übergeordneten Gestalt her wirkende CHI-Prinzip der geistigen Dimension ist. Der Drei-Prinzipen-Lehre zufolge ist jedes Lebewesen eine organisch konfigurierte Gestalt, in der die Prinzipien CHI, SCHARA und BADGAN verwirk-licht sind. Trotz der Verschiedenartigkeit in den Formen und Funktionen, in denen Lebewesen organisiert sind und Gestalten bilden, bleibt die ihnen zugrunde liegende metaphysische Struktur der drei instantanen Prinzipien gleich.


Im Denkschema der Drei-Prinzipien-Lehre werden diesen Prinzipien drei Aspekte zugeordnet, wodurch sich ein Chi-Schara-Badgan Aspekt der CHI-SCHARA-BADGAN Prinzipien und somit eine Neun dimensionale Struktur sogenannter Seins stufen oder Seins ebenen ergibt (Bild 7).


























Wie zu ersehen ist, sind die CHI-SCHARA-BADGAN Prinzipien mit Chi-Schara-Badgan Aspekten verbunden, was so zu verstehen ist, dass sich die Prinzipien über die, diesen Aspekten inhärenten Funktionen verwirkli-chen. Wenn jedes der drei Prinzipien mit drei Aspekten kombiniert wird, ergibt sich folgende Struktur:

- Die Chi-Schara-Badgan Aspekte des CHI-Prinzips,

- die Chi-Schara-Badgan Aspekte des SCHARA-Prinzips und

-  die Chi-Schara-Badgan Aspekte des BADGAN-Prinzips.


Alle anorganischen und organischen Phänomene lassen sich der Dreiprinzipienlehre zufolge als Ausdruck dieser neun Stufen auffassen. Das trifft auch den Menschen und andere Lebewesen zu, die in der Dreiprinzi-pienlehre als eine Verwirklichung dieser neun Dimensionen verstanden werden. Dieses Modell weist darauf hin und lässt erkennen, dass der Mensch nicht nur als physisches Phänomen, sondern als ein Prozess exis-tiert, der sich in neun Dimensionen (oder Seins-Stufen) verwirklicht. Seine Existenz lässt sich in diesem Kon-text als eine Metapher für das Wesen der Welt auffassen, ebenso wie das Universum selbst in Ausnahme-zuständen des Bewusstseins, als eine dem Homo Maximus analoge Verwirklichung erfahren werden kann.


Der Dreiprinzipienlehre zufolge sind Lebewesen als Verwirklichung einer Koexistenz der drei universalen Prinzipien CHI-Geist, SCHARA-Leben und BADGAN-Materie zu verstehen, die sich wiederum in Chi-Schara-Badgan Aspekten äußern. Auf den Menschen bezogen verwirklicht sich das geistige CHI-Prinzip im Chi-Aspekt in Form von Sprechphänomenen, der Schara-Aspekt des CHI-Prinzips verwirklicht sich in Hörphäno-menen und der Badgan-Aspekt des CHI-Prinzips verwirklicht sich visuellen Wahrnehmungsphänomenen. Das SCHARA-Prinzip des Lebens verwirklicht sich im Chi-Aspekt in Geschmacksphänomenen, der Schara-Aspekt des SCHARA-Prinzips verwirklicht sich in Geruchs- und Geschlechtsphänomenen und der Badgan-Aspekt des SCHARA-Prinzips verwirklicht sich in Verdauungsphänomenen. Der Chi-Aspekt des BADGAN-Prinzips des materiellen Körpers verwirklicht sich in Form von Tastphänomenen, der Schara-Aspekt des BADGAN-Prinzips verwirklicht sich in Temperatur-Empfindungs-Phänomenen und der Badgan-Aspekt des BADGAN-Prinzips verwirklicht sich im objektfreien Wahrnehmen (Bild 8).



















Die Phänomenologie der Dreiprinzipienlehre, die ich hier am Beispiel des Menschen dargestellt habe, lässt sich auf alle Erscheinungsformen der Welt übertragen. Eine solche Übertragung folgt keinem starren Sche-ma; sie ist ein zweckfreier kreativer Prozess analog korrespondierender Zusammenhänge, deren tieferer Sinn sich erst dann vermittelt, wenn man sich darauf einlässt. Das erfordert Zeit und Geduld. Es ist nahelie-gend, dass ein mit dem Schema der Dreiprinzipienlehre komponiertes Bild des Universums, der Welt und des Menschen, Aspekte der bildenden Kunst sind, die sich nicht mit wissenschaftlichen Ansprüchen begründen und ergründen lassen.






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