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© Otto Hanus

Die psychedelische Wirklichkeit

Die Psychiater Paul Hoch und Humphrey Osmond entdeckten bei Versuchen mit bestimmten Pilzarten, dass man psychische Zustände erfahren konnte, von denen man meinte, sie würden ihrer Struktur nach psychoti-schen Symptomen ähnlich sein, weil sie vom psychologischen Ich nicht kontrolliert werden konnten. Psychia-ter denken anders als Künstler, Schriftsteller oder Philosophen. Deshalb hatte man diese Zustände psychoto-mimetisch genannt, was so viel bedeutet wie einer Psychose ähnlich. Osmonds psychiatrisch gefärbtes Ver-ständnis dieser psychischen, im Wesentlichen jedoch geistigen Phänomene hatte sich dann aufgrund einer Zusammenarbeit mit dem Schriftsteller und Philosophen Aldous Huxley verändert. Beide waren nämlich da-von überzeugt, dass die Bezeichnungen psychotomometisch und in diesem Zusammenhang auch halluzino-gen zu einseitig und eng gefasst wären und nannten deshalb die veränderten Zustände des Bewusstseins fortan psychedelisch. Man kann diesen Begriff als das offenkundig Seelische übersetzen. Osmond und Huxley haben mit diesem, aus dem altgriechischen zusammengesetzten Wort, einen kreativen Zustand der Psyche und des Bewusstseins bezeichnet, in dem die Grenze zwischen der extrazerebralen Realität und der intraze-rebralen Wirklichkeit aufgehoben war. Es ist Huxley zu verdanken, solche psychischen und geistigen Ausnah-mezustände der Erfahrung einer psychiatrischen Pathologisierung entzogen zu haben und sie im Bereich ei-ner höher und komplexer strukturierten Erfahrungswirklichkeit anzusiedeln. Diese tolerante Einstellung hat sich jedoch nicht durchgesetzt, sodass der Begriff Psychedelik umgangssprachlich beharrlich mit einer zere-bralen Intoxikation, halluzinogener Drogen und Psychose in Zusammenhang gebracht wird. Das ist ein be-dauernswertes, auf Ignoranz beruhendes Vorurteil, indem man, mit den Maßen der Realität, die Wirklichkeit bestimmen will.

Die Wirklichkeit ist das Gegenteil der Realität. Als das Reale soll die gegenständliche Objektwelt gelten, die sich beobachten und messen lässt. Es sind im euklidischen Raum verortete Phänomene, die sich quantifizie-ren und beweisen lassen. Die Wirklichkeit ist jedoch eine gegenstandslose immaterielle Welt psychischer und geistiger Zustandsräume, die man nicht beobachten und messen, jedoch wahrnehmen und erfahren kann. Diese Erfahrungen jenseits des Realen sind wirklich, auch wenn sie sich nicht objektivieren und be-weisen lassen. Das gilt auch für die Wahrnehmungen im psychedelischen Zustandsraum. Jeder Raum ist erst dann ein Raum, wenn man ihn in Bezug auf sich selbst wahrnehmen kann. Dabei zeigt sich, dass zwei unterschiedliche Raumwahrnehmungen und deren Erfahrungen möglich sind. Erstens die Erfahrung des ex-trazerebralen euklidischen Raumes, der ein geometrisches Konstrukt ist, dessen Winkel und Distanzen man messen kann und zweitens, die Erfahrung eines intrazerebralen gegenstandslosen Raumes, in dem es keine messbaren Attribute gibt, die sich bestimmen lassen. 

Der vom zerebralen System generierte euklidische Raum ermöglicht dreidimensionalen Objekten, messbar verortet zu sein. Die gesamte Satellitentechnologie beruht auf dieser komplexen, auf diesen Prinzipien beru-henden Raumgeometrie. Im gänzlich anderen, dem nicht euklidischen Zustandsraum sind Längen, Breiten und Höhen keine benennbaren metrischen Werte, sondern psychische und geistige Wahrnehmungen subjek-tiver Intensität und Dauer. Das bedeutet, dass der Zustandsraum, keine, in das Außensystem projizierte, geo-metrische Konstruktion außerhalb des Menschen ist, sondern die Wahrnehmung psychischer und geistiger Attribute, die zentrifugal und zentripetal erfahren werden. Diese Unterscheidung der Raumwahrnehmung und das damit einhergehende Icherleben ist für das Verständnis psychedelischer Erfahrungen auch noch aus einem anderen Grund von Bedeutung. Der extrazerebrale euklidische Raum und dessen verortete Objekte werden vom subzerebralen ich zentralperspektivisch wahrgenommen. Dieses zentralperspektivische, mit dem binokularen und bifovealen Sehsystem zusammenhängende Sehen, ist ein unbewusster, auf das Ich be-zogener Vorgang, der die Distanz zwischen dem Ich und der Welt ermöglicht und beibehält. 

Der im Vergleich damit grundlegende Unterschied zum Zustandsraum besteht darin, dass es in diesem Wahr-nehmungskontext kein zentralperspektivisches Sehen gibt. Dadurch wird das gegenständlich Wahrgenom-mene, jedoch sehphysiologisch nicht Gesehene als ein nicht verortetes Objekt erfahren, derart, dass dessen psychische und geistige Attribute, ohne relativierende Funktionen des Ich, einen Zustandsraum des Erlebens bewirken. Ein im euklidischen Raum gesehenes Haus lässt sich im Kontext seiner geometrisch verorteten Re-alität metrisch beschreiben. Ein im Zustandsraum wahrgenommenes Haus befindet sich jedoch in einer völlig anderen, nicht metrischen Dimension, weil es die Summe sich überlagernder psychischer und geistiger Attri-bute ist. Das kann man sich anhand der beiden grafischen Beispiele (Bild 1 und 2) vorstellen. Bild 1 repräsen-tiert ein dreidimensionales Objekt, wie man es im euklidischen Raum zentralperspektivisch sehen kann. Bild 2 würde der Wahrnehmung desselben Objekts im Zustandsraum entsprechen. Der Begriff Objekt ist jedoch bei diesem Beispiel aus phänomenologischen Gründen unangebracht, sodass ich es lieber eine Konfiguration nenen möchte.









Aufgrund dieser beiden Unterscheidungen in der unbewussten Phänomenologie des Raumerlebens kann man sagen, dass alle Wahrnehmungen und Erfahrungen im Zustandsraum, gleichgültig wie sie zustande ge-kommen sind, als psychedelisch anzusehen sind und meine deshalb, dass das Gehirn, ein in die Einheit seiner physischen Attribute integriertes psychedelisches Subjekt ist. Die Psychedelik würde demnach als ein zere-braler Zustand aufzufassen sein, der nicht erst durch die Wirkungen psychoaktiver Moleküle entsteht. Psy-chedelik ist eine Erfahrung im Zustandsraum einer veränderten Wahrnehmung. Was erfahren werden kann, ist die Koexistenz der Wirklichkeit einer intrazerebralen psychischen und geistigen Dimension mit der Ob-jektrealität der Wahrnehmungen eines extrazerebralen physischen Gehirns. Psychedelisch würden solche Erfahrungen und Ausdrucksformen sein, wenn sie ohne die reglementierenden Einflüsse der psychologisch konditionierten Ichinstanz zustande gekommen sind.

Wenn es so ist, wodurch unterscheiden sich dann psychedelische Phänomene von psychischen und geistigen Erfahrungen? Bei psychedelischen Phänomenen erlebt man etwas von den gegenstandslosen Attributen der universalen psychischen und geistigen Dimension, die über das zentralperspektivisch bedingte Beobachten und Erleben der materiellen Objektrealität hinausreichen. Es sind dies Attribute einer universalen, die Ob-jektrealität transzendierende Wirklichkeit, jenseits des offensichtlich real vorhandenen. Das ist keine extra-zerebrale, vom Wahrnehmen unabhängige Realität, wie sie vom kritischen Rationalismus gedacht wird, son-dern im Gegenteil, eine intrazerebrale, vom Wahrnehmen abhängige, immaterielle psychedelische Wirklich-keit. Zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit gibt es keine Distanz in dem Sinn, dass die Attribute der Wirklichkeit vom Subjekt wahrgenommen werden. Das Wahrnehmen selbst ist die psychedelische Wirklich-keit, die sich in einem gegenstandslosen Zustandsraum sich überlagernder psychischer und geistiger Mög-lichkeiten, im universalen Wahrnehmungsfeld zeigen. Diese Phänomenologie psychedelischer Zustandsräu-me unterscheidet sich radikal von den gesellschaftlich suggerierten rauschhaften Zuständen zerebraler In-toxikation.

Neuronale Interaktionen, die einen psychedelischen Zustandsraum konfigurieren, können mittels dafür ge-eigneter psychoaktiver Moleküle angeregt werden. In diesem Fall kommen die psychedelischen Erfahrungen (wie man meinen könnte) nicht von außen über das Molekül in das Gehirn hinein oder werden von ihm «pro-duziert», sondern werden intrazerebral konfiguriert. Bei der molekularen Variante ist man ohne Möglichkeit einer Einflussnahme dem dreidimensionalen physisch, psychisch und geistig agierenden Gehirn und dessen transpersonalen Muster bildenden Effekten ausgesetzt. Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten, sich ohne psychoaktive Drogen in einem psychedelischen Zustandsraum zu erfahren. Solche Methoden sind Jahrtau-sende alt und in jeder schamanischen Tradition bekannt. Wodurch sich die molekulare Version von der kre-ativen Handlungsvariante unterscheidet, ist die Zeit, die man benötigt, bis man sich in einem psychedeli-schen Zustandsraum befindet.

Pychedelische Erfahrungen lassen sich nur dann verstehen, wenn man das Gehirn als ein universales Subjekt und nicht nur als algorithmischen Rechner versteht. Deshalb gehe ich davon aus, dass es keine Trennung zwischen dem sogenannten Physischen, dem Psychischen und Geistigen, sowie dem Psychedelischen gibt. Das bedeutet in seiner Konsequenz, dass psychedelische Erfahrungen als Ausdrucksformen einer dem Ge-hirn inhärenten psychischen und geistigen Dimension anzusehen sind. Es führt kein Weg daran vorbei, zu er-kennen, dass psychedelische Phänomene geistige Aspekte des Psychischen im physischen Gehirn sind. Und so wie sich das subzerebrale Ich wie ein Filter zwischen der Außenwelt und der Innenwelt befindet, befindet sich dieser Filter des Ich ebenso zwischen dem sogenannten normalen psychischen Erleben und einer psy-chedelischen Erfahrung.


     

Bild 1 und 2

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