A. K. T. Forum Hanus Außerwissenschaftliche Kunst und Theorie
© Otto Hanus
Der psychedelische Zustandsraum
Meinen Erfahrungen zufolge definiere ich einen psychedelischen Zustandsraum als intrazere-brale, nicht von außerhalb des physischen Gehirns bewirkten psychischen und geistigen Kom-plex möglicher Zustände und Wahrnehmungen, die unter bestimmten Voraussetzungen wahr-nehmbar sind. So gesehen ist Psychedelik kein durch Drogen verursachter Zustand, sondern ein dem Gehirn immanentes Muster bildendes System, das in Interaktion mit dem Weltsystem psychische und geistige Erfahrungen generiert. Solche Erfahrungen können, müssen aber nicht durch extrazerebrale, außerhalb des physischen Gehirns vorhandene, aber ebenso durch intra-zerebrale, innerhalb des Gehirns vorhandene psychoaktive Moleküle ausgelöst werden. Diese Moleküle sind ihrerseits geometrisch konfigurierte Atome und somit geistige Strukturen. In ihrer psychoaktiven Wirkung, die nicht nur psychisch, sondern auch geistig erfahren wird, er-möglichen psychoaktive Moleküle die Wahrnehmung gegenstandsloser Eigenschaften und Zu-stände einer Wirklichkeit abseits der materiellen Realität, die jedoch von einem konditionier-ten rationalen Menschen- und Weltbild überlagert werden. Wenn solche psychedelische, über die Alltagserfahrungen hinausreichende Zustände und Erfahrungen pauschal mit negativ kon-notierten Suggestionen wie Drogen, Sucht, Abhängigkeit, Rausch und Halluzinationen in Ver-bindung gebracht werden, zeigt dies eine offenbar gewollte Voreingenommenheit, die einem wohlmeinenden Verständnis Grenzen setzt.
Man muss das Bild der Psychedelik, wie es der Allgemeinheit präsentiert wird, vom immer wie-der neu aufgetragenen Firnis der Droge trennen, wenn man sehen will, wie es im Original tat-sächlich aussieht. Das ist keineswegs einfach. Denn dieser kognitive Firnis ist eine zähe Masse klebriger Meinungen, von denen man glaubt, sie würden den Betrachter des Bildes von dessen verderblicher Wirkung schützen. Man könnte sagen, das psychedelische Bild wurde auf den Index gesetzt. Das klingt verrückt und das ist es auch. Wenn man aber, was ohne diesen Firnis zu sehen wäre, von vornherein verleugnet, weil es äußerst mühsam ist den Firnis abzutragen, ohne sich auf die Wahrnehmung des Bildes eingelassen zu haben, stellt man sich in die Reihe derjenigen, die das Wesen und die innerste Motivation der Kunst nicht verstehen, weil sie meinen, dass ein zentralperspektivisches Abbilden von Objekten Kunst sein würde. Wohin diese Spaltung führt und wie sie sich auf das Welt- und Menschenbild auswirkt, ist bekannt, obwohl man dieses hintergründig wirkende Prinzip nicht zu erkennen scheint, sobald es sich auf einen anderen, etwa den psychedelischen Kontext bezieht (Bild 1).
Im allgemein üblichen Zustand der Selbstwahrnehmung erlebt man sich im Umfeld von Objek-ten einer extrazerebralen, also außerhalb des physischen Gehirns gedachten materiellen Aus-senwelt. Zugleich befindet man sich in intrazerebralen, immateriellen, psychischen und geisti-gen Zustandsräumen, deren man sich nicht bewusst ist. Das sind vor allem die psychedelischen Attribute der physischen, psychischen und geistigen Aspekte des Gehirnsubjekts. Diesen Be-griff verwende ich, um das materielle Gehirn von der Ganzheit des physischen, psychischen, geistigen Gehirns zu unterscheiden. Damit will ich einerseits den objektiv subjektiven, anderer-seits und zugleich den intersubjektiven Aspekt im objektiv Realen zum Ausdruck bringen.
Jeder erlebt sich im Kontext des Gehirnsubjekts, ohne es zu bemerken, weil der Firnis der Ge-wohnheiten und konditionierten Wahrnehmungen das dahinter liegende Bild der psychedeli-schen Wirklichkeit verhindert. Dieser konditionierte Zustand ist die sogenannte Normalität, die man dem Gehirn zuschreibt. Sie wird durch eine Schranke gesichert, die das Normale, also die gewohnte Realität vom scheinbar nicht normalen, weil anderen und ungewohnten trennt. Diese Schranke ist das vom Gehirnsubjekt generierte und ihm untergeordnete persönliche Ich, das meint, ein Gehirn zu haben, obwohl es ein Gehirnsubjekt ist, das wollen und entscheiden kann, ohne ein persönliches Ich zu benötigen. Andererseits und zugleich ist das vom Gehirnsub-jekt generierte persönliche Ich eine entscheidende, unterscheidende und handeln wollende Instanz, die das Gehirnsubjekt in sein Agieren einbezieht, sodass eine gegenseitige Einfluss-nahme entsteht. Der Wille des Gehirnsubjekts ermöglicht ein Wollen und Handeln des Ich. Aus dieser sich überlagernden Komplexität interaktiver Möglichkeiten des Wollens ergeben sich in-trazerebrale Zustandsräume, deren psychedelische Attribute sich in Form einer ersten und zweiten Ordnung äußern.
Im psychedelischen Zustandsraum erster Ordnung verändert sich die Ich- und Selbstwahr-nehmung im euklidischen Raum, weil sich die zentralperspektivischen Beziehungen zu den Ob-jekten und deren sensorische Empfindungen auflösen. Das perspektivisch wahrnehmende Ich und die derart generierten Sinneseindrücke lösen sich auf, weil das euklidische Raumempfinden durch eine sich veränderte Geometrie des Raumes und seiner Objekte ersetzt wird. Das wirkt sich vor allem in einer veränderten Wahrnehmung des Lichts und in den Farben der Objekte aus, die ohne zentralperspektivisches Sehen frei von Schatten sind (Bild 2 und 3), wodurch ein völlig anderer Zustandsraum des Erlebens des Farbempfindens entsteht. Dies ist jedoch keine auf visuelle Ästhetik bezogene Veränderung des Sehens, sondern ein empfindendes Wahrneh-men des psychischen und geistigen Wesens der Farben.
Zugleich löst sich die euklidische Verortung der immer noch sensorisch wahrgenommenen ge-genständlichen Objekte auf, wobei das um Orientierung bemühte Ich zunehmend mit einer ka-leidoskopischen Dynamik wirbelnder Formen und Farben konfrontiert wird, die sich zuneh-mend vom gegenständlichen Objekt emanzipieren und ein Eigenleben zu führen scheinen (Bild 4). Es gibt nichts mehr, was farbig ist, weil ausschließlich Farbe ist. Sie ist keine an das Objekt gebundene Refexion des Lichts, sondern leuchtet mehr oder weniger aus sich selbst.
Das euklidische Prinzip der drei Raumdimensionen und die damit verbundene Geometrie der dreidimensionalen Objekte verwandelt sich in eine sphärische Geometrie, wodurch ein völlig anderer Zustandsraum entsteht, in dem sich das Ich nicht auf die ihm gewohnte Weise erfahren und orientierten kann (Bild 5 und 6).
Weil das Erleben intrazerebraler Bilder mit vegetativen Empfindungen verschränkt ist, kann der Übergang im Wahrnehmen vom euklidischen in ein sphärisches Raumerleben unangeneh-me Empfindungen auslösen. Das Beispiel (Bild 7) illustriert, wie üblicherweise voneinander ge-trennt wahrgenommene, euklidisch verortete Objekte ineinander übergehen und gleichzeitig am selben Ort vorhanden sind.
In der bildenden Kunst ist diese Form des Ausdrucks inzwischen normal. Eine analoge Beschrei-bung derselben Wahrnehmung würde man jedoch außerhalb der Kunst als eine halluzinogene Verzerrung der Realität fehlinterpretieren. Unabhängig davon, wie es zu einer solchen oder anderen, ähnlichen Wahrnehmungen kommt, sind sie ein Ausdruck der psychedelischen Di-mension des Gehirnsubjekts, in unterschiedlichen Graden des Erlebens.
Solche Attribute des Selbsterlebens werden gerne und wiederholt als Rausch bezeichnet, wenn sich die Versuchsperson nicht vom Wahrgenommenen distanzieren kann. In der Medizin wird der Rausch als ein psychischer Ausnahmezustand beschrieben, der sich im Verhalten, in einer Veränderung des Selbsterlebens und in einer veränderten Wahrnehmung auswirkt. Vorurteils-frei betrachtet, kann ein solcher Ausnahmezustand durch alle möglichen Einflüsse auch ohne „Drogen“ zustande kommen.
Das Wort Rausch stammt aus dem Mittelhochdeutschen und leitet sich von rusch ab, was Rau-schen oder rauschende Bewegung bedeutet. Ursprünglich bezog sich dieser Begriff auf das Er-leben eines intensiven bewegt Seins oder stürmens. In diesem Sinn ist die Erfahrung des Rau-schens eng mit dem Erleben der Natur verbunden, etwa dem Rauschen eines Wasserfalls, dem Rauschen der Blätter im Wind, dem Tosen des Wassers in einer Schlucht und dergleichen. Es gab also keinen Rausch, den man haben oder nicht haben konnte; das Rauschen war ein Pro-zess, ein sinnliches Ereignis zwischen Mensch und Natur. Erst im 16. Jahrhundert kam es auf-grund der damaligen gesellschaftlichen und religiös kulturellen Einflüsse zu einem Bedeutungs-wandel. Das mit dem Rauschen verbundene psychische Empfinden von Enstase und Ekstase, das Erleben der geistigen Einheit des Lebens und das, in der Hingabe an das Rauschen wahrge-nommene alles verbindende Bewusstsein, welches die Attribute des Lebens heilig, weil heil er-scheinen ließ, wurde im Verlauf der protestantischen Reformation durch Huldrych Zwingli, Jo-hannes Calvin und Martin Luther in sein Gegenteil verkehrt, indem man den Glauben an Chri-stus mit Buße und Sünde und den Sinn des Lebens, in der sklavischen Erfüllung von Nüchtern-heit und Disziplin predigte. In diesem gesellschaftlichen Kontext wurde die Hingabe an das ei-nerseits sinnlich konkrete, andererseits metaphorische Rauschen, eine der protestantischen Doktrin nicht wohlgefällige Verschwendung von Arbeits- und Leidenszeit, die nicht geduldet werden durfte. Unbewusst und unterschwellig hatten die Reformatoren, die Grundlage für ei-nen gesellschaftlichen Werte- und Bedeutungswandel geschaffen, indem man das Rauschen zum Rausch und die Hingabe an das Eine und Ganze, begünstigt durch die Verbreitung des Al-kohols, mit Trunkenheit und Verwirrung, Verirrung und der Missachtung von Gottgefälligkeit in Verbindung gebracht und somit pervertiert hatte. Man könnte anhand der beiden Begriffe Dro-ge und Rausch eine komplexe Metapsychologie der Gesellschaft ableiten, dessen gemeinsamer Nenner in einem Pervertieren (Umstülpen, Verdrehen, in sein Gegenteil verkehren) zu erken-nen ist.
Die Phänomene im Zustandsraum der ersten psychedelischen Ordnung, zeigen, dass es immer noch eine sensorische Beziehung zu den Objekten der gegenständlichen Welt gibt. Dieser Ge-stalt bildende Zusammenhang löst sich jedoch zunehmend auf und lässt einen irrationalen Hintergrund erfahrbar werden, den das Ich als bedrohend erleben kann. Wenn sich nämlich die Metrik der gegenständlichen, im euklidischen Raum verorteten Objekte auflöst, bedarf es einer gewissen psychischen Bildung und geistigen Erfahrung, ohne die ein derartiger Prozess ledig-lich als Angriff auf die Normalität erlebt wird. Was ich in diesem Kontext „Pervertierung“, also die Umstülpung eines Phänomens in sein Gegenteil nenne, ist die damit verknüpfte Pathologi-sierung psychischer und geistiger Ausnahmezustände, indem man sie zu sogenannten halluzi-nogenen Rauschzuständen eines durch Drogen intoxierten Gehirns in Beziehung setzt.
Der psychedelische Zustandsraum erster Ordnung hat vor allem in den bildenden und darstel-lenden Künsten, in Malerei, Musik, Literatur und Tanz von Bedeutung. Viele Künstlerinnen und Künstler haben mit Hilfe zerebraler Stimulation ihre Ausdrucksmöglichkeiten nicht nur erwei-tert, sondern sind in neue Dimensionen vorgedrungen, haben neue Perspektiven des Sehens entdeckt und tiefere emotive Zustände kennengelernt. Charles Baudelaire, Ernest Hemingway, Ernst Jünger, Vincent van Gogh, Pablo Picasso, Henry Michaux, die Beatles, die Stones, Jimi Hendrix, Stanley Kubrick und viele andere in Wissenschaft und Kunst engagierte, haben ihre Arbeit mit grenzüberschreitenden Impulsen durch zerebrale Stimulation bereichert. Sie haben niemandem geschadet. Fasst man den Begriff Kunst und Künstler sehr weit, sind bereits Schamaninnen und Schamanen (Bild 8 und 9), deren Artefakte und Attribute der gestalteten Objekte (Bild 10 und 11), sowie Trancegesänge, Tänze und choreografierte rituelle Handlungen (Bild 12 und 13), ein jahrtausendealter Ausdruck einer Psychedelik der ersten Ordnung. Diese Phänomenologie des Ausdrucks lässt sich ebenso in der Buchmalerei des Mittelalters wie in den persischen Miniaturen erkennen (Bild 14 und 15). Das Gemeinsame in diesen Beispielen ist der psychische und geistige Ausdruck des ihnen zugrunde liegenden physischen Gehirnsub-jekts, was bedeutet, dass es Attribute einer Gestaltbildung der psychedelischen Dimension sind und keine von einem materiellen Gehirn produzierte Produkte des Zufalls.
Die psychedelischen Attribute des Gehirnsubjekts sind dessen psychisch und geistig Mögliches, wobei sich das Mögliche unter geeigneten Voraussetzungen in Interaktion mit dem physisch Konkreten verwirklicht. Was sich auf diese Weise zeigt und wahrnehmbar wird, kann durch extrazerebrale Moleküle (sogenannte Drogen), aber ebenso durch intrazerebral affizierte Mo-leküle (körpereigene Substanzen) ausgelöst werden. Der wesentliche Unterschied ist die bei extrazerebraler Affizierung nicht vorhandene, bei intrazerebraler Anregung jedoch mögliche, gestaltende Einflussnahme auf den Prozess des Ausdrucks.
Wenn sich das Ich in einem psychedelischen Zustandsraum befindet und dabei an seinen Emp-findungen, sowie am Weltbild einer gegenständlichen Objektwelt haftet, kommt es darauf an, wie es dem Auseinanderfallen der zentralperspektivischen Ordnung begegnet und eine ihr übergeordnete geistige Kohärenz erkennen kann. Gelingt dies nicht, können Zustände eines depersonalisierten Selbsterlebens, einer phobischen Ichauflösung, psychischer Destrukturie-rung, kognitiver Aberration, emotiver Regression und dergleichen die Folge sein. Lassen sich die im euklidischen Raum verorteten Objekte nicht mehr im zentralperspektivischen Kontext wahrnehmen, fallen deren visuelle Formattribute wie in einem Kaleidoskop auseinander und gruppieren sich um, wobei gegenstandslose Strukturen entstehen. Ähnlich wie sich ein cha-otischer Quantenzustand im interaktiven Feld einer Beobachtung aufgrund seiner Ungeord-netheit, den Gegebenheiten der Beobachtung entsprechend gestaltend formiert, ermöglicht auch das psychedelische Prinzip des gegenstandslosen Zustandsraums eine Formierung im Kontext des psychisch und geistig gegebenen.
Eine solche keineswegs zwingende Erfahrung der Auflösung einer gegenständlichen Gestalt im gegenstandsfreien Zustandsraum, zeigen die Bilder des Künstlers Louis Wain, die er in einer schizophrenen Phase gezeichnet hatte. Oberflächlich gedacht könnte man sich darin bestätigt sehen, dass man sich in einem psychedelischen Zustandsraum schizophren erleben würde; so ist es aber nicht. Das Beispiel (Bilder 16 bis 21) zeigt lediglich den Verlauf von einer auf ein gegenständliches Objekt bezogenen gegenständlichen Wahrnehmung, zu einer objektfreien Struktur, in der die Intentionen des handelnden Ich von intrazertebralen Effekten überlagert wurden.
Dass solche bidnerischen Ausdrucksformen wie bei Wain kein Hinweis auf eine psychische Stö-rung sein müssen (sie können, aber müssen es nicht sein), zeigen etwa die Bilder der japani-schen Künstlerin Miwa Komatsu (Bilder 22 bis 24). Der Unterschied zwischen ihren Bildern und denen von Wain kann so verstanden werden, dass bei ihm, das perspektivische Ausdrucks-vermögen, eine Katze gegenständlich (naturalistisch) zeichnen zu wollen, in der Phase seiner psychotischen Störung von gegenstandsfreien Struktur bildenden Ausdruckshandlungen über-lagert wurde, die gegenstandslosen Ausdruckshandlungen von Komatsu jedoch von vornherein intendiert waren. Wenn man also das Ziel einer gegenständlichen Darstellung nicht verwirkli-chen kann, weil das Instrument der organisierenden und Einfluss nehmenden Funktionen des Ich nicht verfügbar sind, weil sie von Effekten überlagert werden, die der Darstellungsabsicht nicht entsprechen, dann würde man aus psychiatrischer Sicht eine psychische Störung inten-dieren. Psychedelisch betrachtet würde dieser Ausdruck eines Zustandsraums, ein Phänomen unter vielen und nur dann als Störung zu bewerten sein, wenn man die formale Übereinstim-mung mit der visuellen Realität des Objekts der Maßstab für das Normale ist.
Bei solchen und anderen Beispielen der Wahrnehmung und des Ausdrucks im Zustandsraum der ersten psychedelischen Ordnung hat die Versuchsperson ihr am zentralperspektivischen Sehen konditioniertes Ich entweder nicht verfügbar oder setzt sich darüber hinweg. Deshalb können Strukturen entstehen, die anderen Ordnungsmustern als jenen der gegenständlichen Gestaltbildung folgen. Man muss in solchen Phänomenen des Ausdrucks auch keinen Hinweis auf ein psychiatrisches Symptom sehen, sondern kann sie als ungewollten oder gewollten Aus-druck im psychedelischen Zustandsraum begreifen. 1922 publizierte der deutsche Psychiater und Kunsthistoriker Hans Prinzhorn, die von ihm gesammelten Bilder von Patientinnen und Patienten, in seinem Werk: Bildnerei der Geisteskranken. Zu sehen sind gegenständlich figura-tive Gestalten, deren Formen und Farben sich jedoch nicht an der extrazerebralen Realität, sondern an intrazerebralen Effekten orientiert haben (Bilder 25 bis 27).
Die metapsychischen Hintergründe des gegenstandsfreien psychedelischen Ausdrucks zeigen, dass Abweichungen vom sogenannten normalen Sehen und Wahrnehmen, sowie vom abbilden-den Ausdruck keine Hinweise auf zerebrale Störungen sind, wie man sie den Wirkungen psy-chogener Moleküle unterstellt. Es ist noch nicht lange her, dass man die Kunst als ein realitäts-getreues, zentralperspektivisch korrektes Darstellen von Objekten verstanden hatte und Ab-weichungen vom zentralperspektivischen Sehen als entartet galten. In der bildenden Kunst hatte man sich schließlich vom Zwang dieses Kunstverständnisses und dem daraus resultie-renden Weltbild befreit, wodurch Erfahrungen einer anderen Dimension des Sehens und Emp-findens möglich wurden. Künstlerinnen und Künstler haben sich dabei auf eine andere Sicht auf die Welt eingelassen und unbekannte objektfreie, psychisch geistige Dimensionen entdeckt. Das trifft vor allem auf die schwedische Künstlerin Hilma af Klint zu, die in weiser Voraussicht verfügt hatte, dass ihre Bilder erst zwanzig Jahre nach ihrem Tod der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden durften (Bild 28 und 29).
Man kann diese Dimension des Ausdrucks ebenso der medialen Malerei zuordnen, weil auch hier über das gegenstandsfreie Bild Zustandsräume einer nicht sichtbaren psychedelischen Welt sichtbar und erfahrbar werden. Was das Psychedelische mit dem Medialen verbindet, ist das gegenstandsfreie Feld, aus dem heraus sich zustands- und situationsbedingt metaverbale Botschaften als Bild konfigurieren. Im Unterschied zum Verbalen, welches sich wiederholen lässt, sind die metaverbalen Attribute eines psychedelischen oder medialen Bildes nicht wiederholbar und deshalb einzigartig. Einen Text kann man ein zweites und drittes Mal schreiben; ein gegenstandsfreies mediales Bild lässt sich kein zweites Mal auf dieselbe Weise zum Ausdruck bringen (Bilder 30 bis 32).
1924 veröffentlichte der Kunstphilosoph und Avantgardist Kasimir Malewitsch, in Leningrad, sein Suprematistisches Manifest, in dem er die Vision einer gegenstandslosen Welt zum Aus-druck brachte. In seiner Kunstphilosophie bezieht er sich auf die Möglichkeit einer gegen-standsfreien Malerei als ein Mittel und einen Weg zur Erkenntnis einer höher dimensionierten Wirklichkeit. Diese von Malewitsch intendierte Gegenstandslosigkeit der Formen und Farben im zweckfreien Ausdruck, bedeutet, sich von der materiellen Außenwelt abzuwenden und sich der immateriellen Innenwelt des Empfindens und der Wahrnehmung intrazerebraler Zustands-räume zuzuwenden. Diese Hinwendung zur Dynamik einer entmaterialisierten Innerlichkeit, al-so zum Geistigen im Psychischen und Physischen, sowie zum Psychischen im Physischen und Geistigen offenbart eine geistige Ästhetik, die sich vom sogenannten äußerlich Ästhetischen im konventionellen Kunstverständnis unterscheidet. Hier deutet sich eine Brücke an, die den ver-äußerlichten gegenstandsfreien Ausdruck in der bildenden Kunst mit den verinnerlichten psy-chedelischen Zustandsräumen verbindet. Das Gemeinsame der beiden Aspekte des abbil-dungsfreien Ausdrucks ist die von verorteten Objekten befreite Gestalt. Deshalb gehe ich da-von aus, dass sowohl den veräußerlichten als auch den verinnerlichten gegenstandslosen Bil-dern grundsätzlich psychische und geistige Effekte des psychedelischen Gehirnsubjekts zu-grunde liegen. Hier sehe ich eine metapsychische Analogie zwischen den psychiatrischen Uni-katen der Prinzhornsammlung und nicht psychiatrischen gestaltbildenden Prozessen, in denen die Objekte der gegenständlichen Welt von ihrer materiellen und zweckbedingten Form befreit erscheinen.
Im psychedelischen Zustandsraum der ersten Ordnung (die zweite Ordnung ist einem weiteren Essay vorbehalten) befindet man sich immer noch im Bereich sensorischer Erfahrungen, die er-schütternd sein können, weil sie aufgrund ihrer intersubjektiven Dimension einer ozeanischen Ichentgrenzung, wie es der Wissenschaftler Adolf Dittrich nannte, jedes gewohnte Maß über-schreiten und dabei der menschliche Erfahrungsbereich überschritten wird. Man befindet sich gewissermaßen in einem intrazerebralen Weltraum ohne Gravitation, die ein Andocken an etwas irgendwie Vertrautem ermöglichen würde. Erfahrungen dieser Art sind dem verwandt, was man in einem psychiatrischen Kontext als psychotisch bezeichnen würde, was bedeutet, dass sich diese Erfahrungen außerhalb der Realität ereignen. An dieser Stelle wird es kompli-ziert, und zwar deshalb, weil das Weltbild des sogenannten realistischen Beobachters nicht nur radikal infrage gestellt wird, sondern nichts Reales vorhanden ist, das infrage gestellt werden könnte. Das Bedürfnis, psychedelische Wahrnehmungen zu verstehen, führt den Beobachten-den deshalb in eine paradoxe Situation. Wenn man nämlich das aus der Realität Bekannte zum Maßstab für ein Verstehen macht, ist kein Verständnis möglich, weil das Wirkliche umfassen-der ist als das Reale und sich nicht mit ihm vergleichen lässt.
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