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© Otto Hanus

Das Modell der drei metaphysischen Dimensionen 

Der Philosoph Ludwig Wittgenstein meinte, die Welt ist alles, was der Fall ist. Ich greife diese Einsicht auf und sage, alles, was sich ereignet, ist der Fall und somit real. Es gibt aber auch manches Andere, das ebenso der Fall ist, obwohl es nicht real, sondern wirklich ist. Das Reale ist physisch der Fall, das Wirkliche psychisch und geistig. Anders gesagt: Psychische und geistige Erscheinungsformen sind wirklich, aber nicht real der Fall. Was wirklich der Fall ist, erkennt man an seinen Wirkungen auf das, was real der Fall ist. Das Wirkliche und das Reale sind über Ereignisse und Wirkungen, die der Fall sind, verbunden. Ereignisse und deren Wirkungen sind keine gegenständlichen Dinge, sondern Prozesse. Prozesse sind Ereignisse, in denen eine physische, psychische und eine geistige Dimension zum Ausdruck gelangt, was bedeutet, dass diese Dimensionen der Fall sind, weil sie sich ereignen.

Ich verwende den Begriff Dimension anders, als es in der Physik, in der Mathematik und in der Geometrie üb-lich ist. In einem anderen Kontext bildnerischer Analysen habe ich mit dem Begriff «Dimension» unterschied-liche bildnerische Freiheitsgrade des Ausdrucks und die damit zusammenhängenden visuellen Erscheinungs-formen bezeichnet. Diese Freiheitsgrade waren auf eingeschränkte bis uneingeschränkte Aspekte des bild-nerischen Ausdrucks und auf eine damit korrespondierende Vermittlung von Sinn bezogen. Später wurde mir bewusst, dass sich diese Freiheitsgrade nicht nur auf den bildnerischen Ausdruck beziehen, sondern dass sie darüber hinaus auch den Menschen insgesamt, das Leben und die Welt betreffen. Es ist demnach eine Festle-gung, wenn ich eine Dimension als Freiheitsgrad des Erlebens, des Handelns und den damit zusammen-hängenden zerebralen Zustandsmöglichkeiten definiere, die sich physisch, psychisch und geistig äußert und verwirklicht, sodass drei Dimensionen zu unterscheiden sind: eine physische, eine psychische und eine geis-tige Dimension. Das ergibt ein dreidimensionales Modell des Seienden, welches sich in beobachtbaren Phä-nomenen verwirklicht.

Im Allgemeinen verbindet man mit dem Wort «Drei» oder der Ziffer «3» eine Anzahl oder Menge. Im vorlie-genden Kontext ist die «3» aber keine Zahl, sondern das Muster einer instantanen Koinzidenz von drei Di-mensionen. Das ist so zu verstehen: Drei Punkte, die außerhalb einer Geraden angeordnet sind, bilden ein Dreieck (Bild 1). Unabhängig davon, in welcher Distanz und Beziehung zueinander diese Punkte angeordnet (konfiguriert) sind, bilden drei Punkte immer und grundsätzlich die Gestalt eines Dreiecks (Bild 2). Jetzt kommt es darauf an, sich dessen bewusst zu sein, dass in der Gestalt eines Dreiecks keiner der drei Eckpunk-te chronologisch und kausal aus einem der anderen Punkte hervorgegangen sein kann. Das ist noch anschau-licher, wenn man die Eckpunkte eines Dreiecks mit den drei Primärfarben Rot, Blau und Gelb in Zusammen-hang bringt (Bild 3).







Keine dieser drei Farben sind das Resultat einer kausalen Entwicklung aufgrund einer vorhergegangenen Farbe. Das heißt, weder Gelb, Rot oder Blau können von einer einzigen ursächlichen Farbe hergeleitet und darauf reduziert werden. Daraus folgt, entweder es gibt diese drei Farben unmittelbar, kausal und zugleich (instantan), oder es gibt sie nicht. Entweder gibt es die drei Eckpunkte unmittelbar und zugleich oder es gibt kein Dreieck. Die Gestalt des Dreiecks ist entweder unabhängig von einer kausalen Entwicklung der Fall oder es gibt sie nicht, weil sie dann nicht der Fall ist. Hier gibt es weder eine Chronologie noch eine Kausa-lität. Das ist der instantane Aspekt der Gestalt, der von vornherein als Einheit und Ganzheit anwesend ist und sich in kontinuierlichen Zwischenschritten auflösen würde, sobald einer der Eckpunkte verschwindet. Analog dazu sind auch die drei Dimensionen wie die Eckpunkte eines Dreiecks instantan aufeinander be-zogen, was bedeutet, dass sie sich aufeinander beziehen und sich gegenseitig bedingen (Bild 4).









Die wissenschaftliche Sicht auf die Phänomene der Welt kennt und anerkennt nur eine, nämlich die ph-ysische Dimension. In meinem Modell der drei metaphysischen Dimensionen bilden die psychische und die geistige Dimension, zusammen mit der physischen, eine instantane Gestalt. Das bedeutet, die physische, psychische und geistige Dimension sind eine primordiale Einheit und Ganzheit, deren Prinzipien von vorn-herein gegeben sind, ohne kausal und chronologisch bedingt zu sein. Das würde in Analogie zu den drei Pri-märfarben und den Eckpunkten des Dreiecks bedeuten, dass man nur eine der drei Farben, unter anderem Gelb, als primordial und real vorhanden anerkennt und die Farben Rot und Blau davon abzuleiten wären. Damit wäre die Gestalt des Dreiecks aufgelöst und nicht mehr vorhanden. Wie es ein Dreieck nur aufgrund von drei Eckpunkten gibt, die seine Gestalt ermöglichen, gibt es ebenso die Ganzheit des Seienden nur auf-grund von drei Dimensionen, die sich in Phänomenen verwirklichen. Wenn man diese Metapher des Dreiecks auf das Modell der drei Dimensionen anwendet, ergeben sich beliebig viele interaktive Möglichkeiten in der Dynamik ihrer Beziehungen. 

Projizieren wir dieses Modell der drei Dimensionen auf eine gegenstandsfreie Zeichnung (Bild 5). Aufgrund der Prämisse, jedem Phänomen würde eine physische, psychische und geistige Dimension zugrunde liegen, müssten sich in diesem Bild drei Dimensionen verwirklicht haben. Das würde bedeuten, dass es beim Fehlen einer der drei Dimensionen dieses Bild nicht geben könnte und geben würde. Die physische Dimension des Gehirns, sensumotorischen Nervensystem und materiellen Zeichenmaterial, waren die physischen Voraus-setzungen dafür, dass sich gegenstandsfreie Ausdruckshandlungen realisieren konnten. Ein wahrnehmen-des, sich selbst erlebendes und psychisch empfindendes Subjekt, das zeichnen wollte, war die Ursache für differenzierende, auf Nuancen bedachte Ausdruckshandlungen der psychischen Dimension. Die Kohärenz der Bildelemente zeigt, dass sich formgebende, eine zusammenhängende Gestalt bildende Einflüsse auf die physische Motorik des Zeichnens und ein damit korrespondierendes qualifizierendes Empfinden ausgewirkt haben, wobei diese Wirkung ein Ausdruck gewollter und beabsichtigter Entscheidungen der geistigen Di-mension war. Die koinzidente Verwirklichung der physischen, psychischen und geistigen Dimension dürfen als die Voraussetzung und Ursache dafür gelten, dass diese Zeichnung entstehen konnte.












Kein Bild entwickelt sich von allein aufgrund seiner physischen Dimension, aus deren materiellen Elementen es besteht. Es muss darüber hinaus etwas geben, wodurch aufgrund dieser physischen Voraussetzung ein ge-staltbildender Prozess entsteht. Das ist zweifelsfrei die Bewegung. Aber auch die für eine Zeichnung erfor-derlichen Bewegungen kommen nicht wegen des physischen Materials zustande und deshalb muss es einen über die physischen Voraussetzungen hinausreichenden oder besser gesagt, einen in diese Voraussetzungen hineinreichenden Einfluss geben. Dieser Einfluss kommt jedoch nicht, wie man meinen könnte, durch das physische Gehirn, seinen neuroelektrischen Impulsen und synaptischen Vernetzungen zustande. Der zere-brale chemisch-physikalische Apparat kennt keine Absichten, kein Wollen, weder Ausdrucks- noch Gestal-tungsziele. Die Welt der Elementarstrukturen und der elektromagnetischen Felder, der zerebralen Materie, hat keine Interessen. 







Das betrifft zum Beispiel auch Bilder, die vom System einer künstlichen Intelligenz generiert werden. Dessen Algorithmen haben keine Absichten und auch kein Wollen, weder empfinden noch erkennen sie etwas. Sie sehen und wissen nichts von Bedeutung. Es ist der Mensch, der die Programme schreibt und die Ziele vorgibt. Was bedeutet es aber dann, wenn eine KI ein Bild generiert hat? Was ist dabei entstanden? Und wie? Suchen wir eine Antwort auf diese Fragen anhand eines Beispiels (Bild 7).










Dieses Bild könnte so entstanden sein, dass ein oder mehrere Programmierer:innen in das Datennetzwerk eines KI-Systems tausende Daten von Bildern eingespeichert haben. Sie könnten diesen Datenpool mit ei-nem Zufallsgenerator verbunden und mit Algorithmen vernetzt haben, deren Aufgabe es war, Bilder oder Bildsegmente entsprechend einer vorgegebenen Konfigurationsregel unter Einbeziehung zufallsbedingter Präferenzen zu kombinieren. Auf diese oder ähnliche Weise könnte dieser visuelle Output entstanden sein. Aus der Sicht auf die Innenperspektive dieser KI hat ein blinder Mechanismus die Ziele eines Programms abgearbeitet und Daten kombiniert. Wissenschaftliche Hardliner könnten nun sagen, dies würde eine zutref-fende Analogie zum menschlichen Gehirn sein. Dabei würde jedoch die Tatsache außer Acht gelassen, dass kein Chip von sich aus die Idee gehabt hätte oder hätte haben können, dieses gegenstandsfreie Bild zu ge-nerieren. Absichtlich von Menschen geschriebene Programme haben deren codierte Anweisungen ausge-führt. Das wirft die Frage auf, wodurch eine Kombination gegenstandsfreier Daten zu einem Bild wird; die Daten selbst, seien sie biologisch-zerebral oder physisch, technisch entstanden, sind nämlich völlig bedeu-tungslose Verteilung von Pixeln und somit kein Bild. Keine KI kann von sich sagen, sie hätte ein Bild ge-schaffen oder gesehen, was sie geschaffen hat. Das ist offensichtlich. Es scheint mir deshalb evident zu sein, dass ein anderes Verständnis des Gehirns erforderlich ist, damit man die Phänomenologie eines Bildes, der Wahrnehmung, des Empfindens und Erlebens verstehen kann.



Bilder 1 bis 3

Bild 4

Bild 5

Bild 6

Bild 7

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