Otto Hanus


Vom Wesen des Lichts und der Farben im gegenstandsfreien Bild


Wer an Licht denkt oder sich Licht vorstellt, hat vermutlich irgendeine Erfahrung des physischen Lichts vor Augen. Dieses physische Licht sieht man jedoch nur dann, wenn Objekte vorhanden sind, die elektromagnetische Wellen reflektieren. Wenn keine Gegenstände vorhanden sind, wenn es keine Objekte gibt, die mit elektromagnetischen Wellen interagieren, dann sieht man auch kein Licht und keine Farben. Noch hat niemand elektromagnetische Wellen gesehen; sie sind ein Gedankenbild, mit dem man in mathematischen Sätzen eine gegenstandsfreie Wirkung in einem interaktiven Kontext beschreibt. Am Institut für Quantenoptik hatte man einen interessanten Versuch durchgeführt. Ein Kasten wurde so konstruiert, damit das in ihm befindliche Licht von den Innenwänden nicht reflektiert werden konnte. Das heißt, dass sich in diesem Kasten nichts außer Licht befand. Eine Vorrichtung ermöglichte es, in den Kasten hineinschauen zu können. Bemerkenswert war nun, dass man nichts sehen konnte außer einem totalen Schwarz. Das Licht im Kasten war vollkommen unsichtbar. Sobald man jedoch in den Kasten ein Objekt eingebracht hatte, war Licht zu sehen. Das Licht selbst war unsichtbar, wenn es nicht mit einem Objekt interagieren konnte. 


Alle Beobachtungen und Aussagen der Neurologen und Physiker, die sich auf Licht- und Farbwahrnehmung beziehen, sind Interpretation aufgrund eines Weltbildes und betreffen die neuronale Reizverarbeitung des physischen Kollektivgehirns. Damit will ich sagen, dass in den sogenannten objektiven Daten der Lichtwahrnehmung die Phänomenologie der Wahrnehmung ausgeklammert wird und was dann übrig bleibt, ist kein Lichterleben. Die Phänomenologie des Licht- und Farberlebens erschließt sich erst aus der instantanen Einheit der physischen, psychischen und der geistigen Dimension. Das bedeutet, dass man das Wesen des Lichts und der Farben keinesfalls über deren physische Dimension ohne Beteiligung des Psychischen und Geistigen verstehen kann. Das Phänomen des Lichts ist keineswegs objektiv, sondern ausschließlich subjektiv vorhanden. Die Messung elektromagnetischer Wellen, der Nachweis neuroelektrischer Erregungszustände in zerebralen Arealen ergibt kognitive Daten in Form von Zahlen, aber kein Erleben von Licht. Quantitative Werte, die von der physischen Dimension des zerebralen Es verarbeitet werden, sind weder hell noch dunkel. Erst deren Modellierung durch die psychische und geistige Dimension ergibt das Spektrum farbiger Lichtphänomene zwischen hellster Helligkeit und dunkelster Dunkelheit. 

Die alltägliche Lichterfahrung wird durch ein zentralperspektivisches Sehen in Relation zu einer Lichtquelle ermöglicht. Bei diesem Sehen entstehen Schatten infolge der Interdependenz von Lichtquelle, Objekt, Umfeld und zerebralem Es. Die Wahrnehmung physischen Lichts ist deshalb nicht von der Wahrnehmung der Schatten zu trennen. Von dieser physischen Welt des Lichts und seinen meisterhaften Darstellungen in der klassischen gegenständlichen Malerei hatte man sich im Impressionismus gelöst und zu einem psychischen Lichterleben gefunden, indem man die physische Realität der Schatten über das perspektivische Sehen hinweg ins Farbige transponiert hatte, wie dies zum Beispiel für Bilder von Pierre Bonnard typisch ist (Bild 1).









  




  




Bild 1


Im weiteren Verlauf scheint das Licht auf dem Weg zum Expressionismus, danach über die Abstraktion und weiter zur gegenstandsfreien Malerei seine Bedeutung verloren zu haben. Meinen Erfahrungen im hypnoiden Malen der Rollbilder zufolge sind Licht und Farben kontextbezogene Erscheinungen, deren Wesen durch das Messen von Wellenlängen nicht erklärt wird. Ohne wahrnehmendes Erleben sind elektromagnetische Wellen physische Messgrößen, aber keinesfalls Licht und das betrifft auch und vor allem die Farben. Damit will ich sagen, dass erst die instantane Einheit der physischen, psychischen und geistigen Dimensionen die Komplexität des Erlebens von Licht und Farben ermöglicht und das Lichterleben nicht nur physisch, sondern psychisch und geistig zu verstehen ist. 


Ich meine einen Erfahrungsraum, der sich vom physikalischen Verständnis des Lichts grundlegend unterscheidet. Er betrifft vor allem das gegenstandsfreie Bild. Hier kommen nämlich Licht- und Farbeigenschaften ohne zentralperspektivisches Sehen, ohne Schatten werfende Lichtquelle und ohne physische Objekte der Realität zum Ausdruck. Dieses Erleben von Licht ist auf ein empfindendes Ich bezogen, das qualitative Unterschiede zu erkennen vermag. Es ist ein Wahrnehmen sowohl psychischer als auch geistiger Empfindungen, die sich im Prisma nuancierter Unterscheidungen in einem Spektrum gegenstandsfreier Farbigkeit entfalten. 


Das Farbempfinden eines schattenlosen, von der Zentralperspektive befreiten Lichts kann vom intrazerebralen Ich in ästhetischen Ansprüchen und Absichten zum Ausdruck gebracht werden, es kann aber auch in einem hypnoiden Zustandsraum des Erlebens und Wahrnehmens in höher dimensionierten Attributen eines geistigen Lichts zum Ausdruck kommen. Solche bildnerischen Aspekte eines von Schatten befreiten Lichts hatte es bereits in der frühmittelalterlichen Buchmalerei (Bild 2), in den persischen Miniaturen (Bild 3), im antiken tibetischen Thangka (Bild 4) und in der sino-japanischen Landschaftsmalerei (Bild 5) gegeben. In diesen, obwohl figurativen und somit gegenständlichen Bildern bestand das essenziell Wesentliche jedoch nicht im Darstellen religiöser oder weltlicher Themen, sondern im hintergründigen Ausdruck eines gegenstandslosen Lichts, das vordergründig mit figurativen Themen in Verbindung gebracht worden war. 


















Je nachdem, in welcher der drei Dimensionen Licht wahrgenommen und erlebt wird, ist die Aufmerksamkeit tendenziell auf das physische, psychische oder geistige Erleben ausgerichtet. Das bedeutet, Licht wird in Abhängigkeit vom Grad der Transparenz des Ich erfahren. Erfahrungen des physischen Lichts sind Beobachtungen variierender Helligkeit und Farbigkeit in einem Umfeld von Objekten. Das innere psychische und geistige Licht wird jedoch in Nuancen von Konsonanz und Dissonanz, von Klarheit und Trübung, Klang und Stille erfahren. Diese Erfahrungen können oberflächlich bis tiefgründig sein. 


Es hat sich mir die Einsicht vermittelt, dass Wahrnehmung, Licht und Bewusstsein homolog aufzufassen sind und lediglich aufgrund von Sprach- und Denkgewohnheiten getrennt zu sein scheinen. Wenn man diese drei Begriffe zueinander in Beziehung bringt, hat Licht die Bedeutung von Wahrnehmung und Bewusstsein, Wahrnehmung die Bedeutung von Bewusstsein und Licht und Bewusstsein die Bedeutung von Licht und Wahrnehmung. Aber weder Licht noch Wahrnehmung oder Bewusstsein existieren an und für sich, sie haben also keine voneinander unabhängige Existenz. Ebenso lässt sich der physische Aspekt des Lichts nicht vom Psychischen und Geistigen trennen. Licht alias Wahrnehmung, alias Bewusstsein ist ein physisches, psychisches und geistiges Phänomen. Sein Wesen ist die Eigenschaft etwas sichtbar, erkennbar, wahrnehmbar zu machen. Anders gesagt, das Wesen der Wahrnehmung ist das Erhellen der Empfindungen im Licht des Bewusstseins, dessen Wesen es ist, sich beim Wahrnehmen des Wahrnehmbaren gewahr zu sein. Die Phänomene gehen ineinander über, keines ist von den anderen getrennt und ich erinnere in diesem Zusammenhang an das instantane Prinzip der drei Dimensionen.


Obwohl Licht farblos ist, weil dessen elektromagnetische Wellen farblos sind, lässt sich das Farberleben nicht vom Licht trennen. Wenn farblose Wellenlängen von der Netzhaut empfangen werden, entstehen neuroelektrische Erregungen, die zum Sehfeld des Gehirns geleitet und dort weiterverarbeitet werden. Man sagt, dass dadurch ein Farbempfinden entstehen würde. Aber wer oder was verarbeitet hier etwas? Würde es nicht anders sein, könnte ein Smartphone die Farben auf dem Display sehen und empfinden. Das ist natürlich Unsinn. Doch dieser Unsinn wird seinem Prinzip nach auf den Menschen und sein Farberleben übertragen. Das kann man machen und auch daran glauben, weil man sich, ob man es will oder nicht, trotz einer Reduktion auf das Physische in einer psychischen und geistigen Dimension befindet, die ein Empfinden, Erleben und Erkennen im Kontext qualifizierender Unterscheidungen ermöglicht. Dies zu leugnen und zu verdrängen, ändert nichts an der Tatsache.


Ab einem gewissen Komplexitäts- und Differenzierungsgrad der Farben- und Formeinheit eines gegenstandsfreien Bildes, kann dessen Wirkung nicht mehr auf Physisches reduziert und damit erklärt werden. Das betrifft in jedem Fall die gegenstandsfreien Entitäten meiner Rollbilder und deren Farbklang-Variationen. Die farbigen Klangbilder sind nicht aufgrund elektromagnetischer Wellenlängen entstanden, sondern waren der Ausdruck eines ideosensorischen Empfindens des intrazerebralen Ich in der instantanen Einheit des zerebralen Es; vgl. dazu das Buch: Kunst und die vierte Dimension.

Bild 2

Bild 3

Bild 4

Bild 5

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